Positive Verhaltensunterstützung (PBS)

Positive Verhaltensunterstützung (PBS) eröffnet neue Perspektiven in der Begleitung autistischer Menschen, indem sie herausforderndem Verhalten mit Verständnis, Empathie und präventiven Strategien begegnet. Anstatt unerwünschtes Verhalten lediglich zu unterdrücken, setzt PBS gezielt auf die Analyse individueller Bedürfnisse und Umstände, um Autisten in ihrer Entwicklung aktiv zu unterstützen. Durch diese wertschätzende und stärkenorientierte Methode profitieren nicht nur die Betroffenen selbst, sondern auch ihre Familien, pädagogische Fachkräfte und das soziale Umfeld. Doch wie genau funktioniert Positive Verhaltensunterstützung, und welche konkreten Vorteile ergeben sich daraus für Menschen im Autismus-Spektrum? Dieser Artikel beleuchtet praxisnah, wie PBS in der täglichen Arbeit angewendet werden kann und weshalb sie als besonders nachhaltiger und ethisch vertretbarer Ansatz gilt.


Einleitung – Positive Verhaltensunterstützung

Erziehen eines autistischen Kindes bringt besondere Freuden, aber auch Herausforderungen mit sich. Eltern stehen oft vor der Frage, wie sie auf schwieriges Verhalten ihres Kindes reagieren sollen, ohne dabei die Beziehung zu belasten oder das Kind zu überfordern. Genau hier setzt Positive Verhaltensunterstützung (PBS) an: Ein Ansatz, der Eltern hilft, das Verhalten ihres Kindes besser zu verstehen und auf positive Weise zu beeinflussen.

In diesem Artikel erfahren Sie, was Positive Verhaltensunterstützung ist und warum sie gerade für autistische Kinder so wertvoll sein kann. Wir stellen die Grundprinzipien und Strategien der PBS vor und zeigen praxisnahe Beispiele, wie Sie diese im Familienalltag anwenden können. Außerdem gehen wir auf häufige Missverständnisse ein und geben Ihnen hilfreiche Tipps, damit Sie PBS erfolgreich im Alltag umsetzen können. Das Ziel dieses Artikels ist es, Ihnen als Eltern Mut zu machen und Ihnen konkrete Werkzeuge an die Hand zu geben, um das Zusammenleben mit Ihrem autistischen Kind positiver und entspannter zu gestalten.

Positive Verhaltensunterstuetzung Ratgeber

Was ist Positive Verhaltensunterstützung (PBS)?

Positive Verhaltensunterstützung (PBS) ist ein pädagogisch-therapeutischer Ansatz, der sich darauf konzentriert, positives Verhalten zu fördern und problematisches Verhalten zu reduzieren – und zwar durch Unterstützung statt Bestrafung. Im Kern geht es bei PBS darum, herauszufinden warum ein Kind ein bestimmtes Verhalten zeigt, und dann Lösungen zu entwickeln, die dem Kind helfen, seine Bedürfnisse auf angemessene Weise auszudrücken.

Grundprinzipien: PBS basiert auf der Idee, dass jedes Verhalten einen Zweck hat. Herausforderndes Verhalten (z.B. Wutanfälle, Aggressionen oder Rückzug) ist oft eine Form der Kommunikation: Das Kind versucht, auf etwas aufmerksam zu machen, Überforderung abzubauen oder ein Bedürfnis zu erfüllen. Anstatt solche Verhaltensweisen nur zu unterdrücken, setzt PBS bei den Ursachen an. Es werden Strategien entwickelt, um vorbeugend zu handeln – das heißt, problematisches Verhalten gar nicht erst entstehen zu lassen, soweit möglich. Dies geschieht, indem man die Auslöser für das Verhalten identifiziert und verändert, dem Kind alternative Fähigkeiten beibringt (z.B. einfache Worte, Gebärden oder Bilder zur Kommunikation) und positives Verhalten gezielt verstärkt.

Zielsetzung: Das Ziel der positiven Verhaltensunterstützung ist es, langfristig ein entspannteres Miteinander zu schaffen und die Lebensqualität des Kindes und der Familie zu erhöhen. Durch PBS lernt das Kind neue Fähigkeiten, um mit seinen Herausforderungen umzugehen, und die Eltern lernen Wege, ihr Kind dabei zu begleiten, ohne in ständigem Konflikt zu stehen. PBS ist zudem ein individueller Ansatz: Was für ein Kind funktioniert, wird genau auf dessen Bedürfnisse und Umfeld abgestimmt. Letztlich sollen nicht nur problematische Verhaltensweisen abnehmen, sondern das Kind soll auch in seiner Entwicklung gefördert werden – mit mehr Selbstständigkeit, Selbstwertgefühl und besseren sozialen Beziehungen.

Warum ist PBS besonders für autistische Kinder geeignet?

Autistische Kinder nehmen die Welt oft anders wahr und stehen vor besonderen Herausforderungen im Alltag. Viele dieser Kinder haben Schwierigkeiten, ihre Bedürfnisse mitzuteilen, mit Veränderungen umzugehen oder starke Sinneseindrücke zu verarbeiten. Das kann dazu führen, dass sie sich durch scheinbar „auffälliges“ Verhalten ausdrücken – etwa durch Wutausbrüche, Selbstverletzen, Weglaufen oder völligen Rückzug. Traditionelle Erziehungsmethoden wie Schimpfen oder Bestrafen helfen hier meist wenig und können die Situation sogar verschlimmern, weil das Kind möglicherweise gar nicht versteht, was es „falsch“ gemacht hat, oder sich noch unsicherer und ängstlicher fühlt.

PBS ist für autistische Kinder besonders geeignet, weil dieser Ansatz die Besonderheiten des Kindes berücksichtigt. Statt ein Verhalten einfach als „schlecht“ abzustempeln, fragt PBS: Was will mir mein Kind mit diesem Verhalten sagen? Zum Beispiel könnte ein Wutanfall bedeuten, dass das Kind überfordert oder ängstlich ist, weil eine Routine durchbrochen wurde oder es von Geräuschen überflutet wird. Mit PBS suchen Eltern nach solchen Ursachen und finden positive Wege, darauf zu reagieren. Ein autistisches Kind profitiert davon, wenn es klare Strukturen, Vorhersehbarkeit und liebevolle Anleitung bekommt. PBS bietet genau das: Es schafft eine strukturierte Umgebung, in der das Kind sich sicher fühlt, und nutzt positive Verstärkung, um dem Kind zu zeigen, welches Verhalten ihm hilft, seine Ziele zu erreichen.

Zudem fördert PBS aktiv die Kommunikation und Selbstständigkeit autistischer Kinder. Wenn ein Kind zum Beispiel lernt, mittels Bildern oder Gesten „Ich brauche eine Pause“ auszudrücken und dafür gelobt oder unterstützt wird, verringert sich die Notwendigkeit, dies durch Schreien oder Weglaufen zu tun. PBS passt sich dem Entwicklungsstand des Kindes an und ist flexibel: Es funktioniert im Kleinkindalter ebenso wie bei älteren Kindern und Jugendlichen im Autismus-Spektrum. Letztlich fühlen sich autistische Kinder durch PBS verstanden und unterstützt, anstatt ständig korrigiert oder bestraft zu werden. Das stärkt ihr Vertrauen – in sich selbst und in ihre Eltern – und bildet die Grundlage für positive Entwicklungen.

Grundlegende Strategien der PBS

PBS setzt sich aus mehreren grundlegenden Strategien zusammen, die Hand in Hand wirken. Zunächst ist es wichtig, das Verhalten gründlich zu analysieren, um die Ursachen und Auslöser zu verstehen. Darauf aufbauend werden positive Verstärkung und Anreize eingesetzt, um gewünschtes Verhalten zu stärken. Ebenso wird die Umgebung angepasst, damit sie positives Verhalten begünstigt. Schließlich plant man präventive Maßnahmen, um Problemverhalten vorzubeugen. Im Folgenden schauen wir uns diese Elemente genauer an:

Analyse von Verhalten (ABC-Modell)

Ein Kernbestandteil von PBS ist die genaue Verhaltensanalyse. Eltern lernen, Situationen mit dem sogenannten ABC-Modell zu betrachten:

  • A = Antezedenz (Auslöser): Was geschieht direkt bevor das Verhalten auftritt? Zum Beispiel: Das Kind bekommt eine Aufforderung, es ist laut im Raum, oder eine Routine ändert sich.
  • B = Behavior (Verhalten): Was genau tut das Kind? Zum Beispiel: Es schreit, schlägt, läuft weg oder zieht sich zurück.
  • C = Consequence (Konsequenz): Was passiert nach dem Verhalten? Wie reagieren die Eltern oder die Umgebung darauf? Bekommt das Kind, was es will (Aufmerksamkeit, ein Objekt, Ruhe)? Wird es aus der Situation genommen?

Durch diese Analyse erkennen Sie Muster. Vielleicht stellen Sie fest, dass Wutausbrüche immer dann passieren, wenn Ihr Kind etwas Unvorhergesehenes erlebt (A), und dass es durch den Wutanfall erreicht, aus der Situation herausgenommen zu werden (C). Das würde bedeuten, der Zweck des Verhaltens ist es, Überforderung zu vermeiden. Mit diesem Wissen können Sie gezielt ansetzen: Die Auslöser verändern und dem Kind beibringen, auf andere Weise zu zeigen, dass es eine Pause braucht.

Praktisch kann es helfen, ein kleines Verhaltensprotokoll zu führen. Notieren Sie einige Tage lang bei herausfordernden Situationen: Was war die Situation davor, wie hat Ihr Kind reagiert, und was haben Sie dann getan? Schon wenige Einträge können Ihnen ein klareres Bild geben, warum ein bestimmtes Verhalten auftritt.

Positive Verhaltensunterstützung
Positive Verhaltensunterstützung

Positive Verstärkung und Anreize

Positive Verstärkung bedeutet, ein Verhalten durch eine angenehme Konsequenz zu belohnen, damit es in Zukunft öfter gezeigt wird. Im Alltag der Familie heißt das: Sie achten bewusst darauf, gutes Verhalten zu loben und zu belohnen, anstatt hauptsächlich negatives Verhalten zu kritisieren. Gerade bei autistischen Kindern ist es wichtig, herauszufinden, was für Ihr Kind eine wirksame Belohnung ist. Manche Kinder reagieren sehr auf Lob und Anerkennung durch die Eltern („Toll gemacht!“), andere freuen sich mehr über einen konkreten Anreiz. Ein solcher Anreiz kann zum Beispiel sein:

  • ein kleines Extra-Spielzeug oder Sticker,
  • ein paar Minuten Spielen mit dem Lieblingsspiel,
  • gemeinsam ein Buch anschauen oder ein besonderes Lied hören,
  • ein Ausflug oder eine Aktivität, die das Kind liebt (z.B. Schaukeln im Park).

Wichtig ist, dass die positive Verstärkung unmittelbar auf das gewünschte Verhalten folgt, damit das Kind den Zusammenhang versteht. Hat Ihr Kind zum Beispiel zum ersten Mal ohne Protest die Zähne geputzt, können Sie es direkt danach herzlich loben und vielleicht ein Sternchen auf ein Belohnungschart kleben. Durch diese konsequente Bestärkung lernt das Kind: „Wenn ich mich auf diese Weise verhalte, passiert etwas Gutes.“ Mit der Zeit wird das Verhalten zur Gewohnheit, und äußere Belohnungen können dann Schritt für Schritt reduziert werden. Positive Verstärkung ist kein Bestechungsgeld, sondern eine Lernhilfe: Das Kind erfährt, welches Verhalten erfolgreich ist, und fühlt sich motiviert, es wieder zu zeigen.

Anpassung der Umgebung zur Unterstützung positiven Verhaltens

Die Umgebung, in der ein Kind lebt, hat großen Einfluss auf sein Verhalten. Eine an das Kind angepasste Umgebung kann viele Schwierigkeiten von vornherein entschärfen. Für autistische Kinder bedeutet das oft:

  • Klare Strukturen und Routinen: Ein durchstrukturierter Tagesablauf mit festen Ritualen gibt Sicherheit. Zum Beispiel könnte morgens immer die gleiche Abfolge gelten: Aufstehen, Anziehen, Frühstück, Zähne putzen – in der gleichen Reihenfolge. Visualisierte Tagespläne oder Piktogramme können helfen, dass Ihr Kind weiß, was als Nächstes kommt.
  • Reizarme und sichere Umgebung: Achten Sie darauf, störende Reize zu reduzieren. Wenn Ihr Kind geräuschempfindlich ist, kann z.B. ein ruhiger Rückzugsort im Haus helfen oder Kopfhörer bei Menschenmengen. Entfernen Sie, wenn möglich, auch Gegenstände, die regelmäßig zu Konflikten führen (z.B. zerbrechliche Deko, die das Kind nicht anfassen darf – das erspart ständige „Nein“-Situationen).
  • Hilfsmittel zugänglich machen: Stellen Sie sicher, dass Ihr Kind die Dinge, die es für gutes Verhalten braucht, leicht nutzen kann. Wenn Sie möchten, dass es sich selbst beschäftigt, richten Sie eine Spielecke ein, in der alle Lieblingsspielzeuge griffbereit sind. Wenn das Kind nonverbal ist und Bilder zur Kommunikation nutzt, sollten die Bildkarten immer an einem leicht erreichbaren Platz sein.
  • Klare Regeln in der Umgebung: Manche Verhaltensregeln können durch die Gestaltung der Umgebung unterstützt werden. Zum Beispiel, wenn das Kind dazu neigt, im Wohnzimmer auf Möbel zu klettern, könnte eine weiche Matte oder ein Trampolin in einem sicheren Bereich angeboten werden, wo es gefahrlos springen und klettern darf. So wird das Bedürfnis nach Bewegung erfüllt, ohne dass es zu gefährlichen Aktionen an ungeeigneten Stellen kommt.

Durch solche Anpassungen fühlt sich Ihr Kind wohler und versteht besser, was es tun darf und was nicht. Die Umgebung „arbeitet mit Ihnen“, anstatt ständig gegen das Verhalten Ihres Kindes.

Präventive Maßnahmen

Prävention ist bei PBS das A und O. Präventive Maßnahmen bedeuten, vorauszudenken und Situationen so zu gestalten, dass problematisches Verhalten möglichst vermieden wird, bevor es entsteht. Ein paar Beispiele für präventives Vorgehen:

  • Im Voraus planen und ankündigen: Viele autistische Kinder reagieren schlecht auf Überraschungen. Wenn eine Veränderung ansteht (z.B. ein Arztbesuch, ein Ausflug oder Besuch), bereiten Sie Ihr Kind so früh wie möglich darauf vor. Erklären Sie in einfachen Worten oder mit Bildern, was passieren wird („Heute Nachmittag fahren wir zum Doktor. Dort gibt es ein Wartezimmer, vielleicht warten noch andere Leute. Wir nehmen dein Lieblingsbuch mit.“).
  • Alternativen anbieten: Wenn Sie wissen, eine Situation wird schwierig, planen Sie einen „Notfallplan“. Beispiel: Beim Einkaufen im Supermarkt wird Ihr Kind ungeduldig. Präventiv können Sie ihm ein Lieblingsspielzeug mitgeben oder es in kleine Helfer-Aufgaben einbinden („Hilfst du mir, die Äpfel in den Wagen zu legen?“). So beugen Sie Langeweile und Frust vor.
  • Für ausreichende Pausen und Grundbedürfnisse sorgen: Übermüdung, Hunger oder Überreizung sind häufige Auslöser für Wutausbrüche. Planen Sie daher genug Pausen ein, nehmen Sie Snacks und Wasser mit, und achten Sie auf feste Schlafenszeiten. Ein ausgeruhtes und sattes Kind kann mit Herausforderungen viel besser umgehen.
  • Regeln und Erwartungen klar kommunizieren: Sagen Sie Ihrem Kind möglichst vorher, was Sie von ihm erwarten, statt erst im Nachhinein zu schimpfen. Zum Beispiel vor dem Besuch bei Verwandten: „Wir begrüßen alle mit Hallo. Wenn dir etwas zu viel wird, sag mir Bescheid, dann können wir eine Pause machen.“ Ihr Kind weiß dann, woran es ist und welche Strategie es nutzen kann, statt plötzlich mit der Situation allein dazustehen.
  • Früh intervenieren: Beobachten Sie Ihr Kind. Oft sieht man frühe Anzeichen, dass es ihm nicht gut geht (z.B. es wird quengeliger, fängt an zu schaukeln oder die Hände auf die Ohren zu legen). Greifen Sie dann früh ein, bevor die Situation eskaliert. Das kann bedeuten, das Kind kurz aus der Situation zu nehmen, es an etwas Angenehmes zu erinnern oder eine kurze Entspannungsübung zu machen.

All diese präventiven Schritte helfen, dass viele potentielle Konflikte gar nicht erst entstehen. Natürlich lässt sich nicht jedes Problemverhalten komplett vermeiden – und das ist okay. Aber je mehr Vorarbeit Sie leisten, desto seltener geraten Sie und Ihr Kind in sehr stressige Situationen.

Konkrete Anwendungsbeispiele für den Alltag

Theoretische Konzepte sind gut – aber wie sieht PBS nun ganz praktisch im Familienalltag aus? Im Folgenden skizzieren wir ein paar typische Situationen und zeigen, wie Sie mit Hilfe der positiven Verhaltensunterstützung hilfreiche Lösungen finden können.

Umgang mit herausforderndem Verhalten

Situation: Ihr Kind bekommt im Supermarkt einen Wutanfall. Es schreit, wirft sich vielleicht auf den Boden, und Sie spüren die Blicke der Umstehenden. Eine höchst stressige Situation für alle Beteiligten.

Analyse (ABC): Versuchen Sie, ruhig zu bleiben, und überlegen Sie: Was war der Auslöser? Vielleicht war der Supermarkt sehr voll und laut (Überreizung) oder Ihr Kind war frustriert, weil es keine Süßigkeiten bekam. Wie haben Sie reagiert, was war die Konsequenz? Eventuell haben Sie versucht, es sofort aus dem Laden zu bringen oder ihm doch die gewünschte Sache gegeben, um es zu beruhigen.

PBS-Strategie: Auf Basis dieser Analyse können Sie präventiv und positiv an die Sache herangehen. Zum Beispiel:

  • Prävention: Gehen Sie zu Zeiten einkaufen, in denen es ruhiger ist, oder bereiten Sie Ihr Kind mit einem einfachen Bildplan auf den Einkauf vor („Zuerst Brot, dann Milch, dann zur Kasse, dann Spielplatz“). Nehmen Sie ein Lieblingsspielzeug oder Kopfhörer mit, um Reize abzuschirmen.
  • Klare Erwartung: Sagen Sie vor dem Laden, was Sie erwarten („Du kannst neben mir im Wagen sitzen oder an meiner Hand gehen. Wir kaufen heute X und Y, Süßigkeiten kaufen wir diesmal keine.“).
  • Positive Verstärkung: Loben Sie Ihr Kind während des Einkaufs für jedes kleine positive Verhalten: „Toll, du bleibst brav neben mir stehen!“, „Du hilfst mir super beim Aussuchen.“ Vielleicht vereinbaren Sie ein kleines Belohnungssystem: Wenn der Einkauf geschafft ist, gibt es zuhause ein Extra an Bildschirmzeit oder ein gemeinsames Spiel.
  • Alternativen im Notfall: Wenn Sie merken, Ihr Kind wird unruhig (frühe Anzeichen eines Wutanfalls), nutzen Sie zuvor geübte Signale. Zum Beispiel könnte Ihr Kind gelernt haben, ein Bild hochzuhalten oder „Pause“ zu sagen, wenn es nicht mehr kann. Reagieren Sie darauf, indem Sie kurz eine Pause machen – vielleicht ruhig zur Seite gehen, einmal tief durchatmen lassen oder einen kleinen Gang nach draußen, bevor Sie fertig einkaufen.

Ergebnis: Durch diese Vorgehensweise wird ein möglicher Wutanfall entweder verhindert oder deutlich abgeschwächt. Ihr Kind lernt allmählich, dass es sichere Alternativen zum Schreien gibt, und Sie selbst fühlen sich handlungsfähiger, weil Sie einen Plan haben.

Was ist Positive Verhaltensunterstuetzung

Unterstützung sozialer Interaktion

Situation: Ihr autistisches Kind spielt meist für sich allein und es fällt ihm schwer, mit anderen Kindern in Kontakt zu treten. Auf dem Spielplatz beobachtet es andere nur aus der Ferne oder es kommt zu Missverständnissen, wenn es mitspielen will.

PBS-Strategie: Hier hilft eine Kombination aus Übung, Vorbild und Verstärkung:

  • Vorbereitung und Rollenspiel: Üben Sie zu Hause einfache soziale Fertigkeiten in einer vertrauten Umgebung. Das kann in Form von Rollenspielen passieren. Zum Beispiel üben Sie das Grüßen: Sie sagen: „Hallo, ich bin [Name]. Darf ich mitspielen?“ – und lassen Ihr Kind das nachspielen. Oder Sie trainieren das Teilen: Nehmen Sie ein Spielzeug und zeigen Sie, wie man es einem anderen Kind anbietet. Machen Sie daraus ein Spiel ohne Druck.
  • Modelllernen: Spielen Sie gemeinsam mit Ihrem Kind und einer weiteren vertrauten Person (z.B. einem Geschwister oder Cousin) ein einfaches Spiel. Zeigen Sie dabei aktiv, wie man abwechselt („Jetzt ist Anna dran, dann bist du dran.“). Ihr Kind sieht so direkt, wie soziale Interaktion abläuft.
  • Positive Verstärkung: Loben Sie jedes soziale Verhalten Ihres Kindes ausdrücklich. Hat es auf dem Spielplatz auch nur kurz mit einem anderen Kind zusammen geschaukelt oder dem anderen Kind ein Spielzeug gegeben, loben Sie es sofort: „Ich habe gesehen, wie du dem Jungen die Schaufel gegeben hast – das war sehr freundlich von dir!“ Solches Lob motiviert und macht dem Kind klar, was es richtig gemacht hat.
  • Anpassung der Umgebung: Wählen Sie anfangs geschützte Rahmen für Sozialkontakte. Statt gleich einen großen Kindergeburtstag zu besuchen, verabreden Sie sich mit einem anderen Kind alleine zu Hause oder in einer ruhigen Umgebung. Weniger Lärm und weniger Kinder bedeuten weniger Stress. Sie können das Treffen strukturieren (z.B. erst zusammen malen, dann zusammen ein bestimmtes Spiel spielen, dann etwas essen). So weiß Ihr Kind, was passiert, und hat es leichter, sich auf den Spielpartner einzulassen.

Ergebnis: Mit der Zeit wird Ihr Kind vertrauter im Umgang mit anderen. Vielleicht bleibt es beim nächsten Spielplatzausflug schon ein bisschen länger bei den anderen Kindern oder wagt es, ein anderes Kind anzusprechen. Jede kleine Verbesserung ist ein großer Erfolg und wird durch die positive Rückmeldung gefestigt.

Förderung der Selbstständigkeit

Situation: Ihr Kind hat Schwierigkeiten, alltägliche Dinge alleine zu bewältigen – sei es sich anzuziehen, die Zähne zu putzen oder abends ins Bett zu gehen. Oft müssen Sie viel helfen oder es kommt zu Protest, weil die Aufgabe dem Kind zu schwierig erscheint.

PBS-Strategie: Selbstständigkeit kann man Schritt für Schritt aufbauen:

  • Schrittweises Lernen (Teilaufgaben): Teilen Sie eine Aufgabe in kleine, machbare Schritte auf. Nehmen wir das Anziehen als Beispiel. Statt zu erwarten, dass Ihr Kind sich komplett alleine anzieht, starten Sie mit einer Teilaufgabe: Zunächst soll es vielleicht nur das T-Shirt über den Kopf ziehen, während Sie bei Hose und Socken noch helfen. Wenn das klappt, kommt der nächste Schritt dazu. Diese Methode nennt sich „schrittweise Annäherung“, und sie funktioniert bei vielen Fähigkeiten.
  • Visuelle Hilfen: Autistische Kinder profitieren oft von visuellen Anleitungen. Machen Sie z.B. eine kleine Bilderserie fürs Zähneputzen (Bild von Zahnbürste mit Zahnpasta, dann Bild vom Zähne schrubben, dann Ausspucken, dann Becher Wasser). Diese Serie hängt im Bad und Ihr Kind kann Schritt für Schritt folgen. Jedes abgeschlossene Bild kann vielleicht mit einem kleinen Haken markiert werden – das gibt ein Gefühl von Erfolg.
  • Routine etablieren: Üben Sie neue Fähigkeiten möglichst jeden Tag zur gleichen Zeit und in gleicher Weise, damit es zur Routine wird. Zum Beispiel immer direkt nach dem Abendessen gemeinsam das Zähneputzen trainieren.
  • Positive Verstärkung: Vergessen Sie nicht, jeden Fortschritt zu loben. Hat Ihr Kind heute zum ersten Mal alleine die Jacke zugemacht? Feiern Sie das! Das kann ein fröhliches Lob sein, ein High-Five oder eine kleine Belohnung am Ende der Woche, wenn es jeden Tag etwas Neues geschafft hat.
  • Geduld und Anpassung: Passen Sie die Erwartungen an das Tempo Ihres Kindes an. Vielleicht braucht es länger, um eine Fähigkeit zu erlernen – das ist in Ordnung. Mit PBS schauen Sie auf das, was schon gut klappt, und bauen darauf auf, statt das Kind für das zu kritisieren, was noch nicht klappt. Wenn etwas gar nicht funktioniert, überlegen Sie: Kann man die Aufgabe vereinfachen oder das Umfeld ändern? (Beispiel: Schuhe binden ist zu schwer – erstmal Schuhe mit Klettverschluss nutzen, während man das Schleife binden in Ruhe separat übt).

Ergebnis: Nach und nach wird Ihr Kind selbstständiger und stolz auf das, was es allein schaffen kann. Für Eltern bedeutet das auch Entlastung im Alltag. Durch die positive Herangehensweise bleibt die Stimmung beim Lernen neuer Dinge freundlich und das Kind verbindet Erfolgserlebnisse – statt Frust – mit diesen Aufgaben.

Häufige Missverständnisse über PBS

Wie bei jedem Erziehungskonzept gibt es auch über PBS einige Missverständnisse. Hier klären wir die häufigsten Fehlannahmen:

  • „Positive Verhaltensunterstützung bedeutet, dem Kind alles durchgehen zu lassen.“
    Richtig ist: PBS setzt durchaus Grenzen und Regeln – aber auf positive und konstruktive Weise. Es geht nicht darum, schlechtes Verhalten einfach zu ignorieren oder dem Kind keine Regeln beizubringen. Eltern greifen bei PBS nur anders ein: statt zu schimpfen, lenken sie um, zeigen Alternativen auf und verstärken gewünschtes Verhalten. Grenzen sind weiterhin wichtig; der Unterschied ist, wie man sie vermittelt. Ein Kind darf zum Beispiel weiterhin nicht schlagen oder Dinge kaputt machen – doch statt es hart zu bestrafen, zeigen Sie ihm, wie es seinen Frust anders ausdrücken kann, und loben es, wenn es das tut. PBS ist also kein „Laissez-faire“, sondern ein gezielter, aber positiver Erziehungsansatz.
  • „Ständiges Loben und Belohnen ist doch Bestechung – mein Kind wird verwöhnt.“
    Richtig ist: Positive Verstärkung unterscheidet sich von Bestechung. Bei einer Bestechung würde man z.B. mitten im Wutanfall etwas versprechen nach dem Motto: „Hör auf zu schreien, dann kriegst du Schokolade.“ Das würde das Schreien sogar langfristig verstärken, weil das Kind lernt: Wenn ich schreie, bekomme ich etwas. PBS geht aber anders vor: Sie geben die Belohnung nach dem erwünschten Verhalten, nicht davor. So lernt das Kind, dass gutes Verhalten zu etwas Positivem führt. Außerdem werden Belohnungen im Laufe der Zeit reduziert. Anfangs mag es für jeden kleinen Schritt eine sichtbare Belohnung geben, später nur noch bei besonderen Erfolgen, und letztlich genügen oft Lob und Stolz als Verstärker. Ein Kind „verzieht“ man nicht durch angemessene Belohnungen, sondern man motiviert und lehrt es. Gerade Kinder mit Autismus brauchen manchmal deutliche, greifbare Rückmeldungen, um zu verstehen, was von ihnen gewünscht wird – und dafür sind Belohnungen ein hilfreiches Mittel.
  • „PBS funktioniert nur bei kleinen Kindern oder leichten Fällen von Autismus.“
    Richtig ist: Die Prinzipien der positiven Verhaltensunterstützung gelten für alle Altersstufen und Schweregrade. Natürlich wird PBS immer an die Person angepasst. Was bei einem Kleinkind mit Autismus passt, sieht bei einem Teenager mit Asperger-Autismus vielleicht etwas anders aus – die Grundidee bleibt gleich: versteh das Verhalten, wirke präventiv und verstärke Positives. Viele Schulen und Therapieeinrichtungen setzen PBS sogar erfolgreich bei Jugendlichen und Erwachsenen ein. Es kann sein, dass Eltern bei sehr komplexem Verhalten professionelle Unterstützung brauchen, um einen PBS-Plan zu erstellen. Aber das heißt nicht, dass PBS an sich „nicht funktioniert“. Oft sind es gerade Menschen mit stärkerem Unterstützungsbedarf, die von einem konsequent positiven Ansatz profitieren, weil herkömmliche Methoden bei ihnen erst recht scheitern würden.
  • „Ich habe im Alltag keine Zeit, ständig ein Trainingsprogramm durchzuführen.“
    Richtig ist: PBS muss kein starres Programm sein, das extra Zeitblöcke am Tag frisst. Vielmehr integriert es sich in den normalen Alltag. Anfangs braucht es etwas bewusste Planung – zum Beispiel ein Belohnungssystem überlegen oder ein paar Bildkarten vorbereiten. Hat man diese Grundlagen geschaffen, laufen viele Dinge nebenbei: Sie loben Ihr Kind im Vorbeigehen für etwas Positives (kostet kaum Zeit), Sie passen die Routine einmal an (z.B. abends immer derselbe Ablauf) und profitieren dann jeden Tag davon. Oft spart PBS auf Dauer sogar Zeit und Nerven, weil weniger Krisen auftreten und das Miteinander reibungsloser wird. Es geht nicht um Perfektion; auch kleine Veränderungen in Richtung positive Unterstützung können schon viel bewirken, ohne dass Sie Ihren gesamten Tagesablauf umkrempeln müssen.
  • „Wenn ich immer nett bin, lernt mein Kind nie mit der echten Welt klarzukommen, wo auch Bestrafungen warten.“
    Richtig ist: Freundlichkeit und Verständnis in der Erziehung bedeuten nicht, dass das Kind weltfremd aufwächst. Im Gegenteil, durch PBS lernt Ihr Kind schrittweise selbstreguliert zu handeln und versteht die Gründe hinter Regeln besser. Ein Kind, das in einer unterstützenden Umgebung lernt, bekommt Selbstvertrauen und Fähigkeiten vermittelt. Das macht es langfristig kompetenter, auch mit schwierigen Situationen umzugehen. Harte Bestrafungen hingegen können zu Angst und Trotz führen, ohne dass das Kind wirklich verstanden hat, was anders laufen soll. Die „echte Welt“ stellt autistische Menschen vor genug Herausforderungen – zu Hause darf der sichere Hafen sein, in dem sie Strategien lernen, um draußen besser zurechtzukommen. Liebevolle Konsequenz und positive Anleitung bereiten ein Kind letztlich besser aufs Leben vor als Strenge und Strafe.
Autisten Positive Verhaltensunterstuetzung

Tipps für Eltern

Zum Abschluss einige praktische Tipps, wie Sie PBS in Ihrer Familie umsetzen können:

  • Klein anfangen: Wählen Sie zunächst ein oder zwei Verhaltensweisen, auf die Sie sich konzentrieren möchten, anstatt alles gleichzeitig ändern zu wollen. Kleine Erfolge bauen aufeinander auf.
  • Geduld und Konsequenz: Bleiben Sie geduldig – Veränderungen geschehen nicht über Nacht. Seien Sie aber auch konsequent: Wenn Sie eine Regel oder einen Plan eingeführt haben (z.B. ein Belohnungssystem oder eine neue Abendroutine), versuchen Sie, diesen möglichst täglich gleich umzusetzen. Kinder brauchen Wiederholung und Klarheit.
  • Beobachten und zuhören: Nehmen Sie sich Zeit, Ihr Kind genau zu beobachten. Achten Sie auf seine Signale und darauf, was ihm Freude macht oder was ihn stresst. Je besser Sie die Eigenheiten Ihres Kindes kennen, desto gezielter können Sie PBS-Strategien einsetzen. Hören Sie auch auf Ihr Bauchgefühl – Sie kennen Ihr Kind am besten.
  • Teamarbeit: Binden Sie alle wichtigen Bezugspersonen ein. Sprechen Sie mit Ihrem Partner/Ihrer Partnerin, Großeltern oder Erziehern darüber, welche PBS-Methoden Sie anwenden, damit alle möglichst an einem Strang ziehen. Wenn alle im Umfeld ähnlich reagieren (z.B. konsequent Positives verstärken und ähnliche Regeln nutzen), lernt Ihr Kind schneller und fühlt sich sicherer.
  • Hilfe annehmen: Scheuen Sie sich nicht, Rat von außen zu holen. Ergotherapeuten, Autismustherapeuten oder Frühförderstellen kennen sich mit PBS aus und können Ihnen konkrete Vorschläge machen, die zu Ihrer Familiensituation passen. Auch der Austausch mit anderen Eltern von autistischen Kindern (zum Beispiel in Selbsthilfegruppen oder Online-Foren) kann wertvolle Tipps und moralische Unterstützung bieten.
  • Eigene Ressourcen schonen: Vergessen Sie sich selbst nicht. Erziehung ist anstrengend, besonders wenn herausforderndes Verhalten dazukommt. Gönnen Sie sich Pausen, wann immer es möglich ist, und feiern Sie auch Ihre eigenen Erfolge als Eltern. Wenn Sie erschöpft sind, ist es viel schwieriger, geduldig und positiv zu bleiben. Indem Sie auf sich achten, haben Sie mehr Kraft, PBS konsequent umzusetzen.
  • Freuen Sie sich über Fortschritte: Halten Sie sich vor Augen, was Sie und Ihr Kind schon geschafft haben, anstatt nur den langen Weg vor sich zu sehen. Jedes kleine Erfolgserlebnis – sei es ein neu erlernter Handgriff, ein ruhigerer Nachmittag oder ein gelungenes Spiel mit dem Geschwisterkind – ist ein Zeichen, dass Sie auf dem richtigen Weg sind. Loben Sie nicht nur Ihr Kind, sondern ruhig auch sich selbst dafür, denn PBS ist ein gemeinsamer Lernprozess.

Mit diesen Tipps sind Sie gut gerüstet, die positive Verhaltensunterstützung Schritt für Schritt im Alltag auszuprobieren.

Fazit

Positive Verhaltensunterstützung (PBS) ist mehr als nur eine Methode – es ist eine Haltung gegenüber dem Kind. Im Mittelpunkt steht das Verständnis, dass jedes Verhalten einen Grund hat, und dass man mit Geduld, Planung und viel positiver Bestärkung erstaunliche Fortschritte erzielen kann. Gerade für autistische Kinder und ihre Eltern bietet PBS die Chance, den Familienalltag entspannter und fröhlicher zu gestalten.

Natürlich erfordert die Umsetzung von PBS etwas Übung und Umdenken. Anfangs mag es ungewohnt sein, den Fokus weg von Problemen hin zu Lösungen zu lenken. Doch die Mühe lohnt sich: Wenn Ihr Kind Schritt für Schritt lernt, sich anders zu helfen, und Sie selbst weniger in Konflikte verwickelt werden, steigen Lebensqualität und Zuversicht bei allen.

Trauen Sie sich, die Prinzipien der positiven Verhaltensunterstützung auszuprobieren. Jedes Lächeln, jedes gelungene kleine Erfolgserlebnis bestätigt: Ein liebevoller, positiver Erziehungsansatz kann Berge versetzen – für Ihr Kind und für Sie als Eltern. Viel Erfolg auf Ihrem Weg!